Das Flämmchen von Holtey

An der Ruhr, unterhalb von Burgaltendorf, lag bis vor wenigen Jahrzehnten ein großes Bauerngut, das über viele Generationen hinweg von der Familie Schulte-Holtey bewirtschaftet worden war. Die Straßennamen „Holteyer Hang" und „Holteyer Straße" erinnern noch an dieses bekannte Hofgut, das schließlich der ausgedehnten Wassergewinnungsanlage an der Ruhr weichen mußte. In früherer Zeit soll hier die Wasserburg Holtey gestanden haben, deren Besitzer gefürchtete Raubritter waren. Ihr Augenmerk galt vornehmlich den Gutem und Höfen des nahen Stifts Essen, die häufig von ihnen heimgesucht wurden. Gegen Ende des 13. und zu Beginn des 14. Jahrhunderts müssen es die Herren von Holtey besonders arg getrieben haben. Die Fürstäbtissin von Essen, die nicht mehr wußte, wie sie der Überfälle Herr werden sollte, wandte sich deshalb um Hilfe an den Papst in Rom. Dieser wiederum wies den Abt von Werden an, der Äbtissin mit seinen wenigen Soldaten beizustehen. Gleichzeitig verhängte er den Bann über Ritter Theodor von Holtey und seinen Sohn. Dieser harten Maßnahme aus Rom unterwarfen sich die Raubritter, und fortan unterließen sie ihr schändliches Tun. Später soll Burg Holtey zum Besitze der Äbte von Werden, dann zu dem der Herren von Schellenberg gehört haben.
Über den Untergang der Wasserburg ist nichts überliefert. Nur eine Sage trägt die Erinnerung an eine geheimnisvolleBegebenheit fort, die sich auf den Holteyer Wiesen abgespielt haben soll:
Einst kehrte ein Schäfer spätabends von einer Festlichkeit zu seiner Herde zurück, die im Holteyer Grund weidete und von seinem treuen Hund bewacht worden war. Als er noch die duftenden Wiesen durchschritt, hüpfte plötzlich ein rot glühendes Flämmchen bald vor, bald hinter ihm her. Der Schäfer dachte sich zunächst nichts dabei, hielt er die Erscheinung doch für ein besonderes Tier, ähnlich den Glühwürmchen. Als er aber an einem Bach ankam und gerade den Steg überschreiten wollte, verstellte ihm das Flämmchen den Weg. Nun merkte der Schäfer, daß er es mit einer Spukgestalt zu tun hatte. Mutig gebot er der Erscheinung, den Weg freizugeben und machte gleichzeitig das Zeichen des Kreuzes. Da hörte er ein feines Stimmchen, das ihm flehentlich zurief:
„Oh, taufe mich! Ich bin ein Kind, das sterben mußte, bevor man mir das Sakrament spendete!" Da griff der Schäfer voller Mitleid in den Bach, mit dessen klarem Wasser er die Taufe vollzog. Sofort schwebte das Flämmchen zum Himmel empor, wo es zu einem Stern wurde.
Als der Schäfer noch staunend auf der Brücke stand und in die Höhe blickte, flogen immer mehr solcher Flämmchen herbei und baten, von ihm getauft zu werden. Allen Wünschen kam der Schäfer willig nach. Bis zum frühen Morgen verrichtete er sein mildtätiges Werk, und nach jeder Taufe erschien ein neuer, hell leuchtender Stern am Himmel.


Abschrift aus
"Die schönsten Sagen aus Essen! Band 2"
von Wolfgang Schulze
erschienen im Verlag Pomp & Sobkowiak, Essen


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